Effizienz in der Logistik: Die Rolle der Wertstromanalyse
Wie lassen sich Prozesse besser verstehen und gezielt verbessern?
Die Wertstromanalyse ist ein zentrales Werkzeug des Lean Managements – und liefert genau dafür Antworten. In diesem Interview mit Marek Mrzyk, Leiter Lean Management bei FIEGE Schweiz, erfahren Sie:
- was eine Wertstromanalyse ist und wie sie funktioniert
- welche Schritte für eine erfolgreiche Durchführung entscheidend sind
- wann und wo sich die Methode besonders lohnt

Hallo, Marek. Es freut mich, dass wir wieder zusammenkommen. Beim letzten Gespräch zu den «7 Verschwendungsarten» hast Du am Schluss ein Thema angeteasert, über das wir heute sprechen wollen: die Wertstromanalyse. Magst Du uns zum Einstieg kurz erklären, worum es dabei geht und warum sie so wichtig ist?
Sehr gerne. Eine Wertstromanalyse ist aus meiner Sicht ein zentrales Werkzeug im Lean Management. Sie hilft dabei, sämtliche Tätigkeiten eines Prozesses sichtbar zu machen – sowohl im Materialfluss als auch im Informationsfluss. Das Ganze wird als Blockdiagramm dargestellt, idealerweise ganz klassisch mit Stift auf Brown Paper.
Ist es also eine Art Ist-Analyse?
Genau. Es geht in dieser Phase noch nicht um Lösungen, sondern rein um das Beobachten und Aufnehmen dessen, was wirklich passiert – losgelöst von Arbeitsanweisungen eines Verbesserungsprojektes oder Wunschdenken. Besonders spannend wird es, wenn man ein interdisziplinäres Team aus administrativen und operativen Bereichen zusammenbringt. Da entstehen oft echte Aha-Momente.
Du meinst, weil viele gar nicht wissen, wie der Prozess im anderen Bereich konkret abläuft?
Ganz genau. Ein Admin kennt oft nicht die realen Materialflüsse, während die operativen Kollegen wenig über die Buchungen im Hintergrund wissen. Durch die Wertstromanalyse entsteht ein Gesamtverständnis – und das ist unglaublich wertvoll für alle Beteiligten.

Wie geht man dann konkret vor? Was sind die Schritte?
Zuerst braucht es ein gutes Workshop-Setup – also Zeit, Raum und ein motiviertes, gemischtes Team. Vor dem eigentlichen Start gebe ich eine kurze Schulung, um alle ins Thema zu holen. Dann geht’s raus auf die Fläche, wo wir den Prozess einmal gemeinsam durchlaufen – zunächst ohne Stift. So klären wir unter anderem: Wo beginnt der Prozess? Wo endet er?
Und dann wird gezeichnet?
Ja, aber rückwärts. Wir laufen den Prozess vom Ende her ab – zum Beispiel von der Warenausgabe zurück zur Wareneingabe. Das hat zwei Vorteile: Zum einen übersehen wir weniger, weil der Prozess „auf uns zukommt“. Zum anderen denken die Mitarbeitenden dadurch automatisch intensiver über die einzelnen Schritte nach. Das sorgt für wertvolle Details.
Spannend. Und was für Daten erfasst Ihr dabei?
Das hängt vom Fokus des Projektes ab. Wenn es um Zykluszeiten oder Bottlenecks geht, dann messen wir die Zeit. Wenn uns der Mitarbeitereinsatz interessiert, erfassen wir die Personalkapazitäten. Und wenn die Qualität der Prozesse sowie der Produkte im Fokus steht, dokumentieren wir alle relevanten Prüfpunkte oder Quality Gates. Wichtig ist, sich vorab klarzumachen: Was wollen wir mit der Analyse verbessern? Danach richtet sich die Datenerhebung.
So sieht das in der Realität aus
Kannst Du ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Klar, kürzlich haben wir einen VAS-Prozess (Value-Added Services) für einen grossen Kunden analysiert. Dabei haben wir festgestellt, dass wir durch eine neue Materialsteuerung deutlich weniger Fläche benötigen – und das bei gleichbleibender Produktivität. Gleichzeitig konnten wir durch gezielte Massnahmen im Kaizen-Workshop die Abläufe so optimieren, dass die Mitarbeitenden spürbar effizienter arbeiten. Innerhalb von sechs Monaten waren alle Aktionspunkte umgesetzt, die in der Wertstromanalyse aufgenommen wurden.
Das ist ein starkes Ergebnis. Heisst also, man sollte sich nicht zu viel auf einmal vornehmen?
Unbedingt. Eine häufige Falle ist, dass man bei der Ist-Analyse zu viele Aktionen vornimmt. Dabei ist es viel sinnvoller, realistische Ziele und eine angemessene Anzahl von Aktionen zu setzen. Ein Zeitraum von maximal sechs Monaten für die Umsetzung der Massnahmen hat sich bewährt. Danach kann man die nächste Analyse machen – und so schrittweise weiter optimieren.
Wie sieht es mit der Datenlage aus? Was, wenn Daten fehlen?
Wenn gerade kein Teilprozess stattfindet, lassen wir bestimmte Tätigkeiten „so tun als ob“ ausführen und messen die Zeit. Ansonsten beobachten und messen wir den Prozess live vor Ort. Auch eine simple Strichliste reicht oft schon. Es geht nicht um mathematische Präzision, sondern um ein fundiertes Bild des aktuellen Zustands.
Ist die Methode nur etwas für den operativen Bereich oder auch fürs Büro?
Die Wertstromanalyse ist überall einsetzbar: in der Logistik, im Transport, im Projektmanagement, Produktion, Einkauf, Verkauf, Qualitätssicherung oder in der Technik. Genau das macht sie so spannend. Mit einem einfachen Blockdiagramm und standardisierten Symbolen kann man fast jeden Prozess erfassen und analysieren.
Checkliste: 6 Schritte einer Wertstromanalyse
Apropos – wie wichtig ist Standardisierung bei einer Wertstromanalyse?
Sehr wichtig. Symbole für die Wertstromanalyse wie Pull-Pfeile, Push-Flüsse oder Datenkästen haben ihre eigene Bedeutung. Wenn sich alle daran halten, kann jeder die Analyse sofort verstehen. Daher sollte man nicht einfach irgendetwas zeichnen – es gibt etablierte Standards, an die man sich halten sollte. So kann jeder der die Symbole kenn die jeweilige Wertstromanalyse lesen. Es ist wie eine Sprache.
Zeichnet Ihr das alles von Hand oder auch digital?
Die erste Aufnahme findet immer auf Brown Paper statt – direkt am Ort des Geschehens. Ich digitalisiere die Ergebnisse dann später, oft mit Visio oder ähnlichen Tools. Aber: Bitte niemals eine Wertstromanalyse im Meetingraum am PC „nachbauen“ – das funktioniert einfach nicht. Nur vor Ort bekommt man ein echtes Bild.
Wie erkennt man denn, ob ein Prozess eine Wertstromanalyse verträgt?
Ein guter Indikator sind nicht zufriedenstellende Schwankungen in der Produktivität oder auffällige Zahlen in der P&L. Auch instabile Prozesse oder hohe Variantenvielfalt können ein Hinweis sein. Dann lohnt sich der Blick auf den Ist-Zustand – idealerweise mit einer Wertstromanalyse.
Passt Ihr die Methode bei FIEGE Schweiz an Eure Bedürfnisse an?
Die Methode selbst braucht keine grossen Anpassungen. Sie ist seit Jahren bewährt und funktioniert in nahezu allen Branchen. Natürlich bringen wir unsere eigene Erfahrung mit ein und setzen je nach Bereich unterschiedliche Schwerpunkte. Aber die Grundstruktur – mit Symbolik, Ablauf und Zielsetzung – bleibt gleich.
Vielen Dank, Marek. Das Wieder einmal sehr spannend. Gibt es schon ein Folge-Thema, das Du für unser nächstes Gespräch vorschlagen würdest?
Sehr gerne! Wir könnten über Kaizen-Workshops sprechen – insbesondere im Bereich der Arbeitsplatzgestaltung. Dabei geht es um Themen wie Hilfskennzahlen, konkrete Verbesserungsansätze und wie man Lean-Prinzipien direkt im Arbeitsumfeld umsetzt. Wäre das was?
Klingt super – machen wir!